"Augentäuschereien im Zumikon", Nürnberger Zeitung, 2010
Einführung Bianca Schelling | Lounge im zumikon | 04. 03. 2010
"[...] [Die Bilder Bianca Schellings] üben auf mich eine magische Anziehungskraft aus. Ich werde von ihnen immer näher gelockt und zwar derart, dass irgendwann, beinahe bruchlos, der dargestellte Gegenstand aus dem Blickfeld gerät und ich förmlich in das Bild hineinkrieche. Ich sehe mich damit beschäftigt zu studieren, wie die Farbverläufe malerisch umgesetzt sind oder wie helle und dunkle Flächen erzeugt werden. Das Abenteuer der Malerei erlebt man bei Bianca Schellings Bildern mit dem lupenhaften Blick. Im Mikrokosmos des Bildes lässt sich Atemberaubendes entdecken. Obwohl die Malerin nur sehr wenige Spuren des Herstellungsprozesses hinterlässt, kann ich ablesen, wie sie an bestimmten Stellen diese oder jene Entscheidung treffen musste, damit das Bild in seiner Komplexität funktioniert.
Dabei erinnere ich mich daran, dass die Künstlerin eine erfolgreiche Karatekämpferin ist und es tauchen Analogien zwischen Malmethode und Nahkampf auf:
Ihr künstlerisches Konzept ist insofern äußerst riskant, da durch die angewandte Technik ein strenges Regelwerk an Vorgehensweisen eingehalten werden muss. Trotzdem ist dieses Regelwerk kein Garant, dass ein angefangenes Bild gelingt. Bei der Strenge der Methoden ist es vielmehr so, dass ein Bild gelingen kann, aber auch endgültig verdorben werden kann und dann nicht mehr zu retten ist. Manche begangenen Fehler lassen sich bei dieser Technik nicht mehr revidieren. Dieses hohe Risiko und die daraus folgende hochgradige Anspannung ist den Bildern anzumerken und läuft der scheinbaren Ordnung und Ruhe der dargestellten Motive entgegen. Diese latente Nervosität hinter den ruhigen, sich wiederholenden Formen dynamisiert in Wirklichkeit das gesamte Bild und springt auf den Betrachter über.
Martin Burckhardt behauptet in seinem Buch „Metamorphose von Zeit und Raum“, dass ein Bild auch in seiner Zeiträumlichkeit gelesen werden kann. Er denkt eine Zeitachse, die vom Auge des Betrachters senkrecht in die Tiefe des Bildes führt und die es erlaubt, die während des langwierigen Entstehungsprozesses angehäufte Zeit zu erspüren. Er sagt, dass diese Zeitverdichtung auf der Bildfläche im Gegensatz zu Foto oder Film nur dem gemalten Bild immanent ist. Wenn ich vor Bildern von Bianca Schelling stehe, muss ich immer an diese Burckhardt´sche These denken.
Bianca Schellings Bilder werden oft als altmeisterlich bezeichnet. Doch ist die Anmutung der Malweise derart artifiziell, dass diese sich über die klassischen Maltechniken erhebt, in eine fast virtuelle Erscheinungsform übergeht. Zusammen mit der Motivwahl, die einem beinahe cineastisch zu bezeichnenden Blick auf Architekturen und deren Lichtdramaturgie verpflichtet zu sein scheint, sind die Arbeiten von hochgradiger Zeitgenössischkeit und medialer Aktualität.[...]"
Prof. Michael Munding