Einführung "scheinbar" | Kunstverein Eislingen | Juni 2009
[...] Mit nahezu sezierender Schärfe schafft sie [Bianca Schelling] Räume von beklemmender Eindringlichkeit. Fasziniert lassen wir uns in den Sog dieser von Menschen verlassenen, in Brauntöne getauchten Gegenden ziehen. Die scheinbare Weite dieser abstrakt verorteten, oft symmetrischen Kompositionen macht Schellings Bilder zu Widerspiegelungen unsrer Welt als Wille und Vorstellung. Ist nicht unser Denkhorizont auch unendlich groß und sich zugleich seiner Begrenztheit nur allzu sehr bewusst? Fehlen hier die Personen, weil wir selbst die mittendrin stehenden Protagonisten sind, deren Geist sich um uns herum entfaltet, sodass wir nicht als Außenstehende auf oder in eine Welt vor uns blicken, sondern dass wir, die wir uns ja nicht selbst oder nur als Schatten sehen, Teil der Denk-Konstruktion sind? Oder geht es gar um eine Transzendierung der sichtbaren Welt? Ihre Bilder heißen »Kremsmünster« oder »Kreuzgang«, »Bahnhof Karlsruhe« oder »Stazione Termini«, in unserer Ausstellung verschleiernd »SE 1« oder »SE 2« – dahinter verbergen sich die skelettösen Bauten des spanischen Architekten Calatrava. Aber wo endet hier der konkrete Raum, wo beginnt die reine Grafik? Wie ist die durchaus jenseitige Bezeichnung verankert, wenn wir in ein Nichts blicken? Hier darf man schon unterstellen, dass eine Malerin, die sich auch als Japanologin und Koreanistin mit fernöstlicher Philosophie auseinandergesetzt hat, irdische und nichtige Welten sinnreich zu vermischen versteht. Oder ist es am Ende die Lust an der Technik, die immerhin außergewöhnlich genug ist: Bianca Schelling, ehemals Meisterschülerin bei dem in technischen Belangen auch sehr aufgeschlossenen Michael Munding, malt mit Tusche und Zusatzstoffen wie Öl oder Alkydharz auf Aluminium. [...]
Dr. Günter Baumann