Die Bilder Bianca Schellings vermitteln auf den ersten Blick einen romantischen Eindruck. Tiefste Nacht legt sich über eine einsame Landschaft, noch nicht wärmendes Sonnenlicht wirft die ersten Strahlen über einen stillen See, düstere Stimmung breitet sich in einem verlassenen Zimmer aus. Doch Vergänglichkeit und der Verweis auf ein die Gegensätze umfassendes Jenseits, in das sich letzten Endes alles göttlich fügt, sind nicht gemeint. Stattdessen zeigen die Bilder Bianca Schellings Momente des Stillstandes in einer unergründlichen Wirklichkeit.
Die unergründliche Wirklichkeit, festgehalten in Motiven erinnerter Räume, ob Landschaften, Kirchenarchitekturen, Bahnhofsstationen, ist angesiedelt zwischen tiefstem Dunkel und grellster Helligkeit. Die Schwärze, die Dunkelheit, zieht in die Tiefe, scheint einen vermeintlichen Grund zu verdecken, glänzt und strahlt aber gleichzeitig nach außen. Das Weiß, das Licht, hält auf Distanz, verspricht Verborgenes zu erhellen, lässt aber gleichzeitig Schattierungen, eine Vielzahl von Zwischenwerten entstehen.
Dunkelheit und Helligkeit, ambivalent in Wirkungen und Bedeutungen, bedingen und durchdringen sich gegenseitig.
Licht, an Gegenstände gebunden, lässt diese zwar deutlich erkennen, trägt aber keine Helligkeit ins Dunkle, leuchtet Räume nicht aus, sondern verteilt sich diffus, lässt vages, nebulöses Dämmerlicht entstehen. - Grelles, scharf in die Räume einfallendes Licht verdichtet die Dunkelheit zur Finsternis, vermag gleichzeitig aber die Materialität von Architekturen und Gegenständen auszulöschen. Der Ambivalenz des Kontrastes entsprechend sind die Bildräume konstruiert und inszeniert. Gesehenes - Landschaften, Kirchenarchitekturen, Innenräume - wird neu erfunden und mit klaren Kompositionen im Format verankert. Doch fehlt dem stabil Verankerten der begehbare, erfahrbare, zugängliche Grund. Personen können sich nicht in den Bildern bewegen. Sie, als Identifikationsfiguren für den Betrachter, würden die mit unbeschreiblichen Emotionen aufgeladenen Bilder zerstören, würden die in den Bildern festgehaltene erlebte Atmosphäre zu einer erzählbaren Geschichte, Hoffnung auf Entspannung in sich tragend, modifizieren.
Doch das Unergründliche aufzuspüren, Verborgenes zu entdecken, konkreten Zugang und Zugriff zu erlangen, bleibt stetes Verlangen in der spannungsreichen, für manchen Betrachter sicherlich unheimeligen, latent verunsichernden und beängstigenden Wirklichkeit der Bilder Bianca Schellings.
Die ambivalente, vielschichtige Wirkung ihrer Arbeiten erzielt die Künstlerin mit Hilfe einer speziellen Technik.
Sie verwendet Transparentpapier für die Vorzeichnungen. Mit Blei- und Buntstiften wird sowohl die Rückseite als auch die Vorderseite des Papiers genutzt. Verschiedene, sich niemals vollständig deckende Malschichten entstehen. Diese Technik wendet Bianca Schelling auch für die Malerei an. Ihre Bilder sind vollständig in Tusche ausgeführt, aufgetragen in mehreren Schichten. Lasierende Schicht liegt über lasierender Schicht, ohne sich gänzlich abzudecken und einander aufzuheben. Statt der traditionellen Farbmischung, mit der je nach Dominanz bestimmter Farbwerte die eigentliche Farbwirkung erzielt wird, entsteht die Farb- und Raumwirkung der Bilder Bianca Schellings durch übereinandergelagerte und sich gegenseitig durchdringende Farbschichtungen.
Zuletzt werden zarte Öllasuren über diese vielschichtige Malerei, in der alles Sichtbare in Tusche ausgeführt ist, gestrichen. Die Werke wirken nochmals tiefer genauso wie strahlender. Die ambivalente Atmosphäre der Bilder wird ein letztes Mal gesteigert.
Dr. Amelie Himmel